Brief des türkischen Journalisten Can Dündar an die Teilnehmenden der Solidaritätsveranstaltung für die inhaftierten Journalisten am 30. Januar 2016, organisiert von Literatürk Festival Essen, Verband deutscher Schriftsteller in ver.di, PEN-Zentrum Deutschland und ver.di-Landesverband Baden-Württemberg
Übersetzt von: translators for justice
Liebe Freunde,
Viele Male war ich Gast bei Literatürk, einem der besten Literaturfestivals Deutschlands. Ich habe dort aus meinen Büchern über Oppositionelle wie Deniz Gezmiş oder den inhaftierten Nazım gelesen. Nun bin ich selbst ein Teil dieser verfluchten Reihe geworden und sitze im Gefängnis.
Ins Gefängnis zu kommen ist für Autoren in der Türkei fast wie eine Stufe auf ihrer Karriereleiter, wie eine zwingend notwendige Phase, die jeder Autor durchleben muss, um überhaupt zur Reife zu gelangen.
Das Paradoxe dabei ist aber, dass das Gefängnis auch gleichzeitig der Ort ist, an dem der Kampf geführt wird, damit das eben nicht mehr so ist. Sie sitzen also im Gefängnis wegen dem, was sie geschrieben haben, und sie schreiben weiter, damit die Generationen nach ihnen nicht ins Gefängnis kommen.
Und weil es kein Risiko mehr gibt, dass Sie verhaftet werden, können Sie viel ungestörter schreiben. Es gibt nur ein Hindernis: Wenn Sie im Gefängnis schreiben und es erscheint manchmal der Staatspräsident auf dem Bildschirm und sagt, es gäbe keinen einzigen Journalisten oder Schriftsteller im Gefängnis, dann muss man wirklich lachen. Aber das Ganze wird noch viel lustiger, wenn die deutsche Bundeskanzlerin auf dem Thron neben ihm sitzt und während er das sagt, zustimmend mit dem Kopf nickt. Dann können Sie vor lauter Lachen nicht mehr weiterschreiben.
Meine lieben Freunde,
die Geschichte des Schreibens ist gleichzeitig die der Unterdrückung. Die Geschichte der Unterdrückung und die Geschichte derjenigen, die dieser Unterdrückung Widerstand leisten. Trotz aller Hindernisse, Verbote, Zensur und Unterdrückung schreiben und sprechen wir mutig auch im Gefängnis weiterhin über das, wovon wir glauben, dass es richtig ist.
Wir versuchen der Geschichte derjenigen, die sich auf die Seite von Recht und Wahrheit stellen, einer Geschichte voll von Siegen und Niederlagen, gerecht zu werden.
Wir glauben daran, dass die Wahrheit und das Gewissen am Ende siegen werden.
Wir stehen erhobenen Hauptes dem Regime der Unterdrückung in der Türkei und dem „aufhaltbaren Aufstieg Erdoğans“ als Vertreter dieses Regimes gegenüber.
Dafür, dass Sie uns in diesem Kampf unterstützen, möchte ich mich bedanken und schicke Ihnen allen, meinen Freunden vom Literatürk Festival, meinen Kolleginnen und Kollegen bei PEN Deutschland, meinen Genossinnen und Genossen bei der Gewerkschaft verdi meine herzlichsten Grüße.
Can Dündar
Haftanstalt Silivri
30. Januar 2016